Im Theater: Wer ist Gerda? oder Wie ich nach Hause ging

Ein Gastbeitrag von Thomas Naedler, der in seinem Blog über seinen Vorstellungsbesuch bei GOING HOME :: Wer ist Gerda? schreibt.

Ich
Was genau ist da passiert? Als ich dem Blick des Mädchens standhalten wollte, im schmuddeligen Pförtnerhäuschen mit den 60er-Jahre-Gardinen. Da in diesem Kellerzimmer, als mir der Mann mit Hut ein Kleid, ganz silbern, versprach? Als ich im Zimmer, das braun und beige mich empfing, der Frau gegenüber saß, die erklärte ihren Unterleib entfernen zu wollen, was in der Säulenhalle bei diesem zornigen Jungen, was beim Blick in den Spiegel im Fahrstuhl, als ein Lied mich zu Tränen rührte. Was genau ist da passiert. Mit mir? Warum war, warum bin ich glücklich an den Tagen danach?

Die Antwort meiner klugen Frau: weil ich gespielt habe, ohne Probe, wie ein neugierig in eine neue Welt geworfenes Kind, in aller Leichtigkeit, mit einer ungewohnten Nähe zu mir fremden Mitspielern, die mit mir und für mich da sein wollten an diesem Abend.

 

Was
Ich muss erklären. In Schwerin ist derzeit das Stück GOING HOME :: Wer ist Gerda? zu sehen. Die Inszenierung versucht sich der Figur der Gerda Brasch zu nähern. Gerda Brasch ist die Frau des überzeugten Kommunisten, des DDR-Funktionärs Horst Brasch, sie ist Mutter des Schriftstellers Thomas Brasch, dem sein Vater nicht half, als er ins Gefängnis kam, nach dem Prager Frühling, Mutter auch der Journalistin und Autorin Marion Brasch, die nun, fast 50 Jahre nach dem Tod der Mutter ihre Familie porträtiert hat, Mutter auch der anderen Geschwister Peter und Klaus. Gestorben 1975 an Krebs.

 

Wie
Erzählt wird diese Annäherung in einer szenischen Collage für je einen Zuschauer, eine Zuschauerin, vier Schauspieler, zwei Statistinnen. Und jeder der das Stück sieht, ist fünf Mal, rund zehn Minuten lang allein mit einer der Figuren, in unterschiedlichen Räumen, auf den Weg geschickt, abgeholt, weiter geleitet von diesen Figuren oder: geführt von Stimmen und Geräuschen aus dem Kopfhörer. Nur 16 Menschen können eine Vorstellung erleben – sechzehn Mal also spielen die Schauspielerinnen und Schauspieler für nur einen einzigen Menschen, der direktes Gegenüber ist in diesem Spiel.

 

Ich – wieder ich
Ich war Gerda, war Horst. War in London, Karl-Marx-Stadt und in Berlin. Wollte alles richtig machen, ohne zu wissen, was „richtig“ heißt. Im Programmzettel habe ich gelesen, ich darf, aber muss nicht reden. Ich habe Guten Abend gesagt, viermal. Und dann geschwiegen. Habe, was mich bewegt hat, hinter meine Augen, in meine Mundwinkel, auf meine Stirn gelegt, in der Hoffnung, dabei kleine Botschaften zu senden. Klitzekleine. Habe Vorwürfe ertragen und der Versuchung widerstanden, mein Gegenüber in den Arm zu nehmen. Habe versucht, mitzudenken, was wohl vorgeht, nicht in den Figuren, sondern in den Frauen und Männern, die für mich, mit mir spielten. Etwa als schwer atmend von den Treppen ich im schwarz verhängten Fahrstuhl meinem Tod begegnete, Julia Keiling, die mich nicht sehen, nur hören konnte anfangs, wie sie den Rücken mir zuwandte im silbernen Glitzerkleid, die mit mir in den Spiegel ging später und schließlich sang. Mit leiser, zerbrechlicher Stimme, so dass die Tränen mir liefen.

 

Danke
Und wenn ich nun glücklicher bin, als vor diesem Abend… heißt das nicht, dass Katrin Heinrich, Vincent Heppner, Julia Keiling, Till Timmermann, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler nun das auf sich geladen haben, was vorher meinem Glück im Weg stand? Meinen Schmerz? Und wenn ja, wie halten sie aus, den Schmerz der 16 und wieder 16 und wieder 16 und wieder 16 bis zur Dernière? Können sie sich davon befreien, nehmen sie ihn vielleicht gar nicht wahr, weil in ihrem Beruf sie gelernt haben, empfindsam und distanziert zugleich zu sein? Oder gibt es den übermittelten Schmerz gar nicht und alles ist nur Einbildung und meine Verwandlung auf Zeit hat andere Gründe?

Ich habe Fragen. Und ich bin dankbar. Sehr, sehr dankbar.

 

*Die Idee zu dieser Inszenierung hatte das Künstler:innen-Kollektiv Raum+Zeit. Umgesetzt haben die Mitglieder diese Idee in den Räumen der M*Halle und mit Schauspieler:innen des Mecklenburgischen Staatstheaters.

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